Das stille Band. Eine choreographische a capella Oper (UA 2012)
Musik und musikalische
Leitung: Ruth WIESENFELD
Konzeption und
Choreographie: Magda KORSINSKY
Die Aufführung
beginnt mit zwei minimalen Gesten. Nachdem eine dauerhafte Stille im Raum eingetreten
ist, wird das gesungene pianississimo
allmählich vernehmbar. Die kaum hörbaren, lang liegenden Töne werden ein-, zwei-,
und dreistimmig erzeugt, während die Dynamik das pianissimo nicht überschreitet. Da alle Partien sich in einem mittleren
Bereich befinden – also vom hohen Bereich des Bass-Baritons bis zum tiefen
Bereich der Mezzosopranistin, vermischen sich Männer- und Frauenstimmen in
einer Art homogenisierenden Klangwolke. Spätestens hier wird die Rolle der
hallenden Akustik von der St. Johannes Evangelist-Kirche spürbar. Es wird mit dem Echo gearbeitet, auf es
gewartet, darauf aufgebaut und es wird gebrochen. Das erste forte wird von einem gemischten Duett
unter der Vierung vollzogen, wo durch der akustische Klimax des Raumes vollständig
ausgenutzt wird. Der zweite minimale Gestus erfolgt choreographisch: in äußerster
Langsamkeit wachen die Sänger_innen aus ihrer Starre auf und lösen sich aus dem
engen menschlichen Konglomerat, das sie anfangs bilden. Sie bewegen sich zunächst
in steigender Geschwindigkeit, doch diese wird dann wieder verlangsamt. Wer die
Gruppenbewegungen zu systematisieren versucht, wird zwischen zwei äußerst gegensätzlichen
Interpretationen oszillieren: handeln die Figuren nach dem Zufallsprinzip oder
agieren sie nach genauen Regeln, welche dem Publikum jedoch verborgen bleiben? Diese
Frage erübrigt sich im Laufe der Aufführung, denn nicht die Findung von
verborgenen Regeln ist hier das Thema, sondern die Flüchtigkeit und die
Fragilität einer Gruppenkonstellation.
Die fünf Sänger_innen
bewegen sich auf eine etwa 2,30 Meter breite und 20 Meter lange Fläche, was mit
dem mittleren Haupt- und Seitenschiffe bis zur Vierung der Johannes
Evangelist-Kirche korrespondiert. Anfangs gestalten die Sänger_innen menschliche
Konglomerate, in welche Figuren abwechselnd ein- und ausgeschlossen werden. Wir
wohnen einer Aneinanderreihung von tableaus
vivants bei, welche zugleich Ergebnis der vergangenen Konstellation und Ausgangspunkt
der nächsten sind. Die Bilder sind daher stets ambivalent, flüchtig und labil. Um
von einem Bild zum anderen überzugehen werden verschiedene Übergangstechniken eingesetzt.
In diesen kostbaren Momenten, in denen die vergangene Konstellation bereits aufgelöst
wurde, die Neue jedoch noch nicht entstanden ist, werden wirkungsvolle
Spannungsmomente der Aufführung erzeugt. Hier bewegen sich die Sänger_innen mal
laufend, mal rennend, doch es erfolgt keine lineare Dramaturgie der
Geschwindigkeit. Vielmehr dienen diese Abläufe dazu, Zeit und Raum zu strukturieren.
Verlangsamung und Beschleunigung dynamisieren und rhythmisieren abwechselnd die
Aufführung. Neben der Gruppenbewegung führen die Sängerinnen auch Soli auf,
während derer die Einzelfiguren individualisiert werden. Besonders auffällig
sind zwei stark voneinander kontrastierende Figuren, welche jedoch nicht
aufeinander bezogen werden. Der Countertenor (Philipp Caspari) eröffnet den
solistischen Teil mit einer anspruchsvollen Leistung aus geschmeidigen
Drehungen, Senkungen und plötzlichen Streckungen über eine lange Zeit hinaus,
wobei er den ganzen Raum nutzt. Anders der Bass-Bariton (Philipp Mayer) dessen Soli
aus Biegungen und Streckungen von Beinen, Rücken und Hals bestehen. Seine Bewegungen
erfolgen in viel engeren Raum doch vollzieht er die Übergänge von einem Konglomerat
zum anderen besonders zielstrebig und raumeinnehmend, so dass diese zwei Figuren
für zwei sehr unterschiedliche Nutzungen des Raumes stehen.
Die Musik von
Ruth Wiesenfeld (1972) mag anfangs noch an Ligetis Lux Aeterna erinnern, doch der Vergleich hört auch bald auf. Denn die
mittlerweile nicht mehr unbekannte Figur der Neuen Musik komponierte hier ein
flexibles Tongerüst mit lang anhaltenden Tönen, eingeplanten Echos und stimmlicher
Distorsion, auf welchen die Sänger_nnen die theatralen Vorgänge sehr individuell
gestalten konnten. Auch die Musik selbst ist theatral denn sie entfaltet sich erst
vollständig auf der Bühne. Der wirkungsvolle Übergang von der Stille zum Ton am
Anfang dürfte dafür exemplarisch sein - wobei der Erfolg dieser heiklen Passage
sehr von der Performance des Ensembles abhängt. Die junge Choreographin Magda
Korsinsky (1981) sollte man im Auge behalten denn sie gehört zweifelsohne zu
einer aufsteigenden Generation zeitgenössischer Choreograph_innen, die sich an Gattungsgrenzen
nicht halten.
Das stille Band (UA 2012), Wiederaufnahme 15. und 16. März 2013
Idee/Konzept/Choreographie:
Magda Korsinsky
Komposition/musikalische Leitung: Ruth Wiesenfeld
Komposition/Choreographie/Performance: Johanne Braun, Philipp Caspari,
Beate von Hahn, Philipp Mayer, Antonia Munding, Oliver Uden
Komposition/musikalische Leitung: Ruth Wiesenfeld
Komposition/Choreographie/Performance: Johanne Braun, Philipp Caspari,
Beate von Hahn, Philipp Mayer, Antonia Munding, Oliver Uden
Licht: Lutz Deppe, Nives Rest
(Mitarbeit)
Bühne: Paula Doepfner, Kostüme: Miriam Marto
Choreographische Beratung: Jan Burkhardt
Bühne: Paula Doepfner, Kostüme: Miriam Marto
Choreographische Beratung: Jan Burkhardt
Mit: Johanne Braun (Alt), Philipp Caspari
(Countertenor), Philipp Mayer (Bass-Bariton), Antonia Munding (Mezzosoprano), Oliver
Uden (Tenor)