Samstag, 7. März 2015

"Oper als Aufführung" von Dr. Daniele Daude. Rezension im Opernnetz


Empirie ist besser als Dokumente


Mit ihrem Buch Oper als Aufführung wendet sich Daniele Daude an ein musikwissenschaftlich interessiertes Fachpublikum. Sie erweitert ihre 2009 abgeschlossene Dissertation um weitere Forschungsarbeiten aus den Jahren 2009 – 2013 und stellt eine Opernanalyse vor, für die sie neue, zum Teil empirisch einzusetzende Techniken beschreibt. Zudem entwickelt sie eine Begriffsapparatur, mit der sie die Opernanalyse aus der Tradition der quellenbasierten Arbeit lösen möchte, um zu einer aufführungsbasierten Analyse zu kommen. Sie plädiert für die Ablösung der bisherigen „textzentrierten Opernforschung“ durch eine „szenenorientierte Musiktheater-Forschung“. Wie andere Musikwissenschaftler möchte sie die „zunehmende Distanz zwischen modernen musiktheatralen Praktiken und historisch orientierter musikwissenschaftlicher Opernanalyse“ überwinden. Hierzu entwickelt und definiert sie als systematisches Instrumentarium die BegriffeGesten, Knoten und Korrespondenz, mit denen sie die „Prägung einer Opernaufführung“ beschreiben möchte. In einem Vier-Schritte-Prozess will sie Performanz-orientierte Analysen erstellen, die nicht von den Dokumenten einer Oper oder eines Musiktheaters wie Partitur, Libretto und Regieanweisungen, sondern von der Aufnahme eines Stückes durch die Zuschauer ausgehen. Diese möchte Daude durch Besuchsprotokolle ermitteln, sie sieht darin eine „grundlegende methodische Veränderung“.

Daude erläutert und definiert zunächst grundlegende Begriffe wie Operund Musiktheater und skizziert deren begriffsgeschichtliche Entwicklung. Interessant ist zu erfahren, welche Rolle Richard Wagner und seine musiktheoretischen Arbeiten in der Musikanalyse spielen. In Erläuterungen zur Methode geht sie auf ihre Protokollmethode als „Ausgangspunkt der Aufführungsanalyse“ ein und wendet sie bei mehreren Opernanalysen an: Sie analysiert insgesamt sieben Inszenierungen von Ruth Berghaus, Il Barbiere di Siviglia und Pelléas und Mélisande in den Jahren 2002 – 2008 an der Staatsoper Unter den Linden, Berlin. Sie begründet diese Wahl mit den „meisten aufführungsanalytischen Erkenntnisse(n), die sich…in eine umfassende Untersuchung der Problematik der Opernanalyse … einbeziehen“ lassen. Diese Analysen bilden mit mehr als 200 Seiten den Hauptteil des Buches und unterstreichen noch einmal den fachwissenschaftlichen Anspruch des Titels. Nach einer ausführlichen und detaillierten Historiographie der musikwissenschaftlichen Opernanalyse präsentiert Daude insgesamt sieben Opernanalysen, in denen sie ihr eigenes Instrumentarium anwendet. Diese äußerst detaillierten und umfangreichen Protokolle und Analysen fasst sie am Ende der Beispiele tabellarisch zusammen und erleichtert dadurch einen Vergleich der Aufführungen. In ihren abschließenden Bemerkungen zur Ethik der Opernanalyse stellt Daude fest, dass ihre neu entwickelten Begriffe und Methoden die „performativen Opernkomponenten“ zu erfassen vermochten und sich bewährt haben.

Daniele Daudes Buch Oper als Aufführung behält die Grundstruktur einer Dissertation, ergänzt um einige Exkurse, weitgehend bei. Die Arbeit dürfte fachwissenschaftlich neue Anstöße liefern, die über die wissenschaftsinterne Diskussion hinausreichen. Besonders interessant erscheint ihr Ansatz, eine Verbindung zu neuen Regiekonzepten zu suchen und performative Elemente systematisch in die Opernanalyse einzubeziehen. Ob das von Daude entwickelte begriffliche und methodische Instrumentarium von der Musiktheater-Forschung rezipiert wird, lässt sich noch kaum abschätzen. Dem einen oder anderen Theaterjournalisten mag die von Daude vorgenommene Begriffsschärfung durchaus hilfreich sein, als Vorbereitung oder Nachlese eines entspannt genossenen Opernabends dürfte sie zu komplex und differenziert sein. Die Schlüssigkeit und Nützlichkeit der von Daude erarbeiteten Neukonzeption der Opernanalyse hängt von zwei Faktoren ab: Zum einen von ihrer Resonanz im wissenschaftlichen Diskurs, der nur langfristig verläuft – und von der Kreativität des Theatergeschehens auf den Bühnen. Dieser Kreativität kann Wissenschaft immer nur analysierend folgen, sie beschreiben und systematisieren – post festum. Die Realität, ihre Performanz in Intensität oder Richtung beeinflussen kann sie nicht.

Horst Dichanz, 28.9.2014

Daniele Daude promovierte 2011 am Institut für Theaterwissenschaft der Freien Universität Berlin und am Institut für Musikwissenschaft der Université Paris 8. Sie lehrt seit 2008 an deutschen und französischen Hochschulen (Humboldt-Universität zu Berlin, Universität der Künste, Campus Caraibéen des Arts) und forscht zu den Themen Opernregie, Opernanalyse, Theatersemiotik und Theorie des Performativen. Neben opernanalytischen Abhandlungen und zahlreichen Inszenierungs- und Aufführungsanalysen verfasste sie Bücher- und Filmrezensionen, Übersetzungen und Essays.

http://www.opernnetz.de/seiten/buch/Buch_Daude_Dichanz_140928.htm

Sonntag, 5. Januar 2014

BLACK LUX 2: „Der Zwiespalt einer Schwarzen Perspektive“


Schwarz Tragen von Elisabeth Blonzen
Regie: Branwen Okpako / Musik: Jean-Paul Bourelly

Rezension: Dr. Daniele Daude


Nach der Leitung von Şermin Langhoff (2008-2013)[1] muss sich die Intendanz des Ballhaus Naunynstraße unter Tuncay Kulaoğlu und Wagner Carvalho nun neu profilieren. In dieser Hinsicht ist die Wahl des ersten Auftragsstücks des Hauses von besonderer Bedeutung. Mit „Schwarz Tragen“ von Elisabeth Blonzen gingen Kulaoğlu und Carvalho bewusst risikoreiche Wege ein, was zunächst einmal begrüßenswert ist. Am Beispiel einer Berliner Fünfer-WG sollte der Alltag von Schwarzen Menschen in Deutschland angerissen werden. Zugegeben, der Auftrag Schwarze Normalität darzustellen ist nicht leicht. Denn angesichts der Übermenge an immer noch nicht erzählten bzw. zugehörten Geschichten ist die Versuchung alle möglichen Themen reinzupacken immens. Blonzen entschied sich dafür fünf Mittelschicht Figuren zu porträtieren wobei nicht nur viele, sondern vor allem schwere Themen angerissen wurden: Vergewaltigung, Mobbing auf dem Arbeitsplatz, Cybersex, Religion und Spiritualität im Alltag, Schönheitsbilder, Umgang mit dem Tod, psychische und physische Gewalt, Schwul sein in Communities. Da anderthalb Stunden allerdings wenig Zeit für die Verarbeitung so vieler Topoi bieten, stellen sich die Fragen nach der Auswahl der Themen und deren dramaturgischer Entfaltung: Welche Situationen werden als Paradigma zur Darstellung Schwarzer Normalität ausgesucht? Welche dramaturgischen und inszenatorischen Mittel werden dazu verwendet? Inwiefern findet eine Abgrenzung zu den historischen und heutigen Darstellungen von Schwarzen Menschen statt?

Eric, Cyrus, Joy und Viktoria

Die Figuren der Berliner 5er-Wohngemeinschaft sind Archetypen. Allerdings bieten sie weniger als die tipi fissi der commedia dell‘arte[2] an. Wir haben Eric (Ernest Allan Hausmann) einen vulgären Testosteron gesteuerter jungen Schürzenjäger, dessen dramaturgische Entwicklung darin besteht, Vater von Joys Kind zu werden - wobei nicht sicher ist, ob er dessen Urheber ist. Ansonsten zeichnet sich diese Figur durch ihre ausgeprägte Besessenheit nach Sex aus. Seine Zeit verbringt Eric mit Gesprächen über die eigene, vermeintlich überwältigende sexuellen Performanz, sexistischen Kommentaren und Cybersex. Dass diese trostlose Figur auf rassistische Stereotype des Mainstreams anspielt, ist sofort klar. Doch auch wenn das Gemeinte offensichtlich ironisch angelegt ist, geht diese Figur leider nicht auf. Denn dafür müßte mit den platten Stereotypen über Schwarze Männlichkeit, die diese Figur ausführlich reproduziert, gebrochen werden. Doch genau das findet nicht statt. Dies verleitet zu den Fragen: Wozu soll solch eine grob geschnittene Figur dienen und an wen wendet sie sich? Diese undankbare Rolle verkörpert Ernest Allan Hausmann so gut wie möglich ohne sich außerhalb der dramaturgischen Einschränkungen seiner Rolle bewegen zu können. Als weibliches Pendant zu Eric dient Joy (Thelma Buabeng) deren Rolle hingegen ein dramaturgisches Entfaltungspotential enthält. Mit ihrem bombastischen Auftritt – ein inszenatorischer Einfall von Amina Eisner und Branwen Okpako – scheint die 24-jährige zunächst einmal kaum mehr als die Personifizierung ihres Vornamens zu sein. Charakterisiert wird sie durch ihren steten Glauben daran schwanger zu sein, ihr Reinplatzen in ernste Gespräche mit belanglosen Angelegenheiten oder ihre Weigerung unangenehme jedoch wichtige Briefe zu öffnen. Joy stellt einen Stereotyp von jung sein dar, das hier mit Oberflächlichkeit und Verantwortungslosigkeit gleichgesetzt wird. Wie bei Eric besteht ihre dramaturgische Funktion darin, Leichtigkeit einzubringen und für Entdramatisierung zu sorgen. Sie steht mit Eric den ernsten und reiferen Figuren Vicky und Cyrus gegenüber. Buabeng verdanken wir, dass ihre Figur nicht allzu platt dargestellt wird. Trotz eingeschränkter Rolle gewährt die Schauspielerin den Einblick in ein differenziertes Spielrepertoire auf dessen weitere Entfaltung wir gespannt sein dürfen.

Cyrus (Thomas B. Hoffmann) der Gründer und Ältester der WG ist auch deren Rückgrat. Ebenso wie Eric und Joy ist er keine psychologisierte Figur, sondern lediglich ein Archetyp. Cyrus garantiert für die Geborgenheit einer Gemeinschaft, die sich nach Schutz und Anerkennung sehnt. Er verkörpert eine Auffassung von Community nach der sich alle richten. In dieser Hinsicht ist er die unumgängliche Referenz von der ausgegangen wird – ob mit ihm einverstanden oder nicht. Obwohl diese patriarchale Figur an zwei Stellen besonders gut zur Geltung kommt - nämlich als die WG über die Aufnahme eines neuen Mitbewohners diskutiert und als er die gebrochene Vicky auffängt - wird dies erstaunlicherweise nicht thematisiert. Stattdessen wird mit der Einführung einer Coming Out Geschichte bzw. seinem Verhältnis mit dem verstorbenen Frank (Tyron Ricketts) der Versuch unternommen, dieser Figur etwas individuelle Positionierung einzuhauchen. Leider wird dies anhand von Karikaturen des Mainstreams verhandelt: hier der progressive homophile Weiße dort die rückwärtsgewandte homophobe Nicht-weiße Minderheit. Diese dramaturgische Auswahl wirkt sich auf mindestens zwei Ebenen äußerst negativ aus. Zum einen wird auf den bereits sehr gut vertretenen rassistischen Diskurs rekurriert welcher besagt, dass Schwarze-Deutsche, Türkisch-Deutsche, muslimische MitbürgerInnen homophober seien als weiße Bindestrichlose, christliche BürgerInnen; zum anderen wird von einer weißen LGBTI Perspektive ausgegangen. An der spezifischen Stellungen und Realitäten von LGBTI of Color in Deutschland / Europa geht solch einer Darstellung allerdings schlicht vorbei (vgl. Genderstereotypen weiter im Text). Die Besetzung dieser Rolle mit Thomas B. Hoffmann ist eine gelungene Auswahl. Mit seinem ruhigen und minimalen Spiel rundet Hoffmann die grob geschnittene patriarchale Oberinstanz ab und gibt ihr gar noch etwas Relief. Viktoria (Sheri Hagen) stellt eine irritierende an manchen Stellen verstörende Figur dar. Sie ist eine anspruchsvolle, zielstrebige, disziplinierte[3] Rechtanwältin die anstrebt „die erste Schwarze Deutsche Bundesrichterin“ zu werden. Im Konkurrenzkampf mit ihren weißen KollegInnen erfährt sie folgerichtig nicht nur Arbeitsdruck in hohen Maßen, sondern auch tägliche rassistische und sexistische Belästigung sowie die gegenseitige Deckung ihrer weißen KollegInnen unter sich. Das ist es, was Blonzen zu thematisieren sucht doch die Wahl des dazu gewählten Mittels erweist sich in mehrfacher Hinsicht mehr als problematisch. Vicky wird von einem weißen Kollegen vergewaltigt, kommt gebrochen nach Hause und wird von Cyrus abgefangen, während Joy rumrennt. Als später über die Aufnahme eines weißen Mitbewohners diskutiert wird, stimmt Vicky als einzige nicht dagegen. Denn obwohl sie offensichtlich gerne in einem Schutzraum lebt, verwirft sie vehement jegliche Systematisierung. An Schutzräume glaubt sie eben nicht (mehr). Doch auch dieser Versuch eine etwas komplexere Persönlichkeit darzustellen geht nicht auf: Erstens sind sexuelle Übergriffe auf der Bühne mehr als heikel zu thematisieren. Neben den Schwierigkeiten das Thema gerecht und differenziert zu behandeln, sind die Problematiken der Darstellungsmodi auf dramaturgischer, inszenatorischer und performativer Ebene einerseits und Fragen nach angestrebten Auswirkungen der AutorInnen andererseits von Belang. Sollte trotzdem entschieden werden, die Untat zu reproduzieren, müssen dann zwei grundsätzliche Fragen im Voraus klar gestellt werden: 1. Welche figurale und dramaturgische „Funktion“ erfüllt diese Szene? und 2. An wen ist die Szene adressiert?

Im Falle von Vicky muss darüber hinaus mit der langen zurückliegenden ikonographischen und filmischen Tradition der zu rettenden „Poor Black Women“[4] operiert werden. In dieser Hinsicht bringt die szenische Darstellung dieser Untat auf der Bühne Fragen mit sich: Wozu dient diese weitere plakative Darstellung von Schwarzen Frauen als Opfer[5]? Inwieweit soll sich diese Darstellung von einer weißen voyeuristischen Lust am Elend von Nicht-weißen Frauen unterscheiden? Sheri Hagen meistert diese Figur indem sie es schafft höchste Gegensätze wie etwa äußerste Nervosität mit Stärke und Fragilität zu vereinigen. Die Schauspielerin ragt in der Qualität der Präsenz und des Spiels vom Ensemble heraus, doch bleibt sie stets im dynamischen Wechselspiel mit ihren SpielpartnerInnen.
  
Vom Umgang mit den Stereotypen

Mit dem Porträtieren einer Schwarzen Mittelklasse wurde eine Antwort auf die modernen Stereotype über Schwarzsein formuliert. Anstatt Kriminellen, psychisch „Kranken“ und Asylsuchenden Menschen sehen wir BildungsbürgerInnen der Mittel- bis Oberklasse (Model, Schauspielerin, Rechtanwältin) in ihrem Alltag hantieren. Sie zahlen Steuern, gehen arbeiten haben Arbeits- und Beziehungsprobleme. Auch die Frage nach der Aufnahme eines neuen Mitbewohners lässt sich nicht spezifisch auf eine Schwarze Problematik reduzieren. Vielmehr lautet die Hauptaussage des Stückes: „Schwarze Menschen aus der Mittelschicht leben genauso (unspektakulär) wie eine weiße Mittelschicht“. Eine Aussage die weniger Neuigkeit und subversives Potential enthält als vielmehr eine Liebeserklärung an eine weiße normative Mittelschicht sendet. Dies verleitet also erneut zu der Frage: für wen ist dieses Theaterstück über Schwarze Normalität geschrieben? Provokant gesagt: soll ein Schwarzes Publikum unterhalten oder ein weißes aufgeklärt werden? In beiden Fällen bewahrt die Auseinandersetzung mit modernen Mythen über Schwarzsein leider nicht davor die historischen Stereotypen zu reproduzieren. Denn entlang der Kategorien Rasse, Alter und Gender wird ersichtlich wie geradezu alle Stereotypen bedient werden.

Im Hinblick auf die Kategorie Rasse bewegen sich Eric, Cyrus, Joy und Vicky jeweils als „Coon“,, der „Magic Negro“/Mummy, „Jezabel“ und „Sapphire“[6]. Eric fungiert als Möchte-Gern der wenig kann, Cyrus stellt mit seiner mystischen Auffassung von Community einerseits und seiner aufmerksamen Fürsorge andererseits die Vereinigung einer extrem patriarchalen Figur und der bekannten „Mummy“ dar. Joy und Vicky fungieren jeweils als Jezabel mit Kinderwunsch und klassische Sapphire[7]. Im Hinblick auf die Kategorie Alter verkörpern Joy und Eric eine nicht unproblematische Auffassung von Jugend als unbekümmert und naiv. Sie gehen den gleichen Weg von vielen Beschäftigungen und Liebschaften zu einer fokussierten Aktivität bzw. Person. Dieser „Weg des Erwachsenwerden“ ließe sich wiederum dramaturgisch nachvollziehen. Denn wie bereits erwähnt, dienen die Beiden als Pendant zu Cyrus und Vicky, welche für „Reife“ stehen und die „echten Probleme des Lebens“ verkörpern. Die Kategorie Gender lässt sich hier ohne die ebenso konstruierte Kategorie Rasse nicht erläutern. Joy und Eric werden nicht nur als Schwarze Menschen übersexualisiert, sondern auch noch in polaren Kategorien geformt[8]: Eric mit seiner vermeintlich männlich spezifischen Sexbesessenheit und Joy mit ihrem vermeintlich weiblich spezifisch ausgeprägten Kinderwunsch. Doch der Klimax der Genderstereotypen besteht in der bereits erwähnten Karikatur von LGBTI of Color -wobei keine Unterscheidung zwischen sexueller Orientierung und Gender Positionierung gemacht wird. Performative Rituale wie das obligatorische Coming-Out, der Besuch angesagter Clubs, Partys und Konzerte, manche Tanzbewegungen[9] etc. bilden das normative Gerüst, innerhalb dessen weiße Queer ihre Identität (re)definieren. Da LGBTI of Color es nicht nur mit den sexistischen, homophoben transphoben der Mehrheitsgesellschaft konfrontiert werden, sondern eben auch mit den rassistischen Praktiken weißer LGBTI[10] konfrontiert werden, ist es kaum verwunderlich, dass bei ersteren unähnliche performative und diskursive Wege eingegangen werden. Das verstörende in der Coming-out Geschichte von Cyrus ist weniger das platte Dramaturgisierungsmittel als vielmehr, dass von einem weißen Mainstream Diskurs ausgegangen wird mit dem Anspruch, Schwarze Realität darzustellen.

Schlusswort

Schon die ersten Rezensionen[11] machten klar, dass diese Produktion zum einen unter besonderem Druck steht und zum anderen niemals allein nach ästhetischen Kriterien aufgefasst werden würde. Das ist ein Privileg von weißen Theaterschaffenden. Da eine Schwarze Besetzung immer als etwas Besonderes gedeutet wird, entschied sich die Leitung des Ballhauses offensiv damit umzugehen. Es hätte auch sehr gut ausgehen können. Die von Blonzen beabsichtigte Ironie ist gleich identifizierbar[12] und würde auch aufgehen, wenn irgendwann mit den ausführlich reproduzierten Stereotypen gebrochen würde. Doch diese unabdingbare Voraussetzung einer erfolgreichen ironischen, gar subversiven Entfaltung bleibt leider aus, so dass die Reproduzierungen sich kaum von der Ikonographie eines weißen Mainstreams unterscheiden. Auch wenn die Regisseurin Branwen Okpako (Die Geschichte der Auma Obama 2011), die AutorInnen und SchauspielerInnen Sheri Hagen (On the Inside 2010) und Thomas B. Hoffmann (Wegschließen – und zwar für immer 2013) ein solides künstlerisches Team bilden, können selbst die besten KünstlerInnen kein Wunder erzeugen. Denn die nicht wenigen Schwachstellen des Stückes liegen auf der dramaturgischen Ebene. Es stellt sich hier nicht nur die Frage nach der Auswahl dieser Themen, sondern vor allem danach warum lieber mit vielen Themen an der Oberfläche bleiben anstatt wenige zu vertiefen? Erfahrene DramaturgInnen wissen, dass Theaterstücke nicht mehr als drei oder gar zwei Topoi vertragen um eine anspruchsvolle situative und figurale Entfaltung zu ermöglichen. Auch wenn ein Debütstück durchaus Nachsicht verdient, wie konnte ein so leicht behebbarer Fehler von den DramaturgInnen und vor allem von der Leitung übergangen werden? 

Die Reproduktion von Stereotypen in „Schwarz Tragen“ könnte aber auch als Ansatz einer umfassenden Reflexion über Topoi und ästhetische Mittel zur Selbstdarstellung in einer weißen Mehrheitsgesellschaft genutzt werden. Dies wirft auch die Frage nach der Art der Kritik eines unterstützenwerten Projekts auf, dass jedoch an entscheidender künstlerischer Stelle hakt. Eine Situation die leider öfter vorkommt und die eine Stellungnahme sowohl von Theaterschaffenden als auch von TheaterwissenschaftlerInnen of Color benötigte. Was die hiesige Analyse angeht, oszilliert sie zwischen klassischer Theaterkritik mit dem Schwerpunkt auf dramaturgischen und performativen Ebenen einerseits und der Darstellung der ideologischen Entstehungs- bzw. Aufführungskontexte andererseits. Dass zeitgenössische darstellende und bildende Künste sehr wohl scharfe gesellschaftliche Analysen in einer hohen ästhetischen Qualität liefern können, zeigen z.B. die Arbeiten der Regisseurin und Performerin Simone Dede Ayivi (Krieg der Hörnchen 2012-2013), der Filmemacherin und Schauspielerin Sheri Hagen (Auf den zweiten Blick 2013) oder der Künstlerin Sonia Barrett (Fanon’s Bed 2012).  


Black Lux Festival im Ballhaus Naunynstrasse | 28. August- 30. September 2013

Text:               Elisabeth Blonzen
Regie:             Branwen Okpako
Musik:             Jean-Paul Bourelly
Ausstattung:   Arianne Vitale Cardoso
Dramaturgie:   Philipp Khabo Koepsell / Nora Haakh

Joy:                 Thelma Buabeng
Viktoria:         Sheri Hagen
Eric:                Ernest Allan Hausmann
Cyrus:             Thomas B. Hoffmann
Frank:             Tyron Ricketts


[1] In dieser Zeit wurden talentierte RegisseurInnen und SchauspielerInnen gefördert wie u.a. die Regisseure Nurkan Erpulat (Verrücktes Blut 2010), Hakan Savaş Mican (Schnee 2010, Die Saison der Krabben 2012) sowie die SchauspielerInnnen Sesede Terziyan (Verrücktes Blut 2011), Mehmet Yılmaz (Lö Bal Almanya 2010)

[2] Vgl. Vechhi (Pantalone, Il Dottore), Zani, (Arlecchino, Brighella, Colombina) und die Innamorati oder Amorosi.


[3] Als exemplarischen Inszenierungsgesten von Vickys „Charakter“ dienen Joggen und Beten vor dem Essen.   


[4] Vgl. Spielbergs Romanverfilmung von Alice Walkers The Color Purple (1985), Gibsons Tina – What’s Love Got to Do with It? (1993) oder Precious (2009) die Verfilmung von Sapphires Push.


[5] Dazu:

• Harris, Angela P (1990): Race and Essentialism in Feminist Legal Theory

• Olive, Victoria C.(2012):  Sexual Assault against Women of Color

Pierce-Baker, Charlotte (2000): Surviving the Silence: Black Women's Stories of Rape 


[6] Dazu: Green, Laura: Stereotypes: Negative Racial Stereotypes and Their Effect on Attitudes Toward African-Americans. In: Perspectives on Multiculturalism and Cultural Diversity 1998-1999


[7] Dazu: Marilyn Yarbrough with Crystal Bennett (2000) “Mammy Jezebel and Sistahs“ in Cassandra and the "Sistahs": the Peculiar Treatment of African American Women in the Myth of Women as Liars Journal of Gender, Race and Justice 626-657, 634-655



[8] Vgl. Grada Kilomba (2008): “gendered Racism” In Plantation Memories 53-63


[9] Vgl. Stefanie C. Boulila: (2011) “You Don’t Move Like a Lesbian” Negotiating Salsa and Dance Narratives


[10] Dazu:

Puar, Jasbir (2007) Terrorist Assemblages: Homonationalism In Queer Times, Durham.

• Presse-Mitteilung von SUSPECT 2010


• Haritaworn, Jin/ Tauqir, Tamsila / Erdem, Esra (2006): “Gay Imperialism: Gender and Sexuality Discourse in the ‘War on Terror’” 71-95

• Haritaworn, Jin (2011), ‘Queer Injuries: The Cultural Politics of “Hate Crimes” in Germany’, special issue on sexuality, criminalization and social control in Social Justice 37(1): 69-91.

• Haritaworn, Jin (2011), ‘There Are Many Transatlantics: Homonationalism, Homotransnationalism and Feminist-Queer-Trans of Color Theories and Practices’, in K. Davis and M. Evans (eds.), Transatlantic Conversations: Feminism as Traveling Theory, Aldershot: Ashgate, p. 127-144 (with Paola Bacchetta).

• Cetin, Zülfukar (2012) : Homophobie und Islamophobie transcript, Bielefeld


• El-Tayeb, Fatima (2012): “'Gays who cannot properly be gay': Queer Muslims in the neoliberal European City”


• Liad & Yossi (2012): „Pinkwashing weissgespült“ https://linksunten.indymedia.org/node/63316



• „Rassismus in Berliner Queeren Netz“ (07.05.2013) Humboldt Universität zu Berlin


[12] Wenn Joy ihre neue Rolle als Schauspielerin vorspielt, in der sie einmal „Hilfe“ und ein anderes Mal „ich liebe dieses Land“ sagen soll, wird mit Humor auf die diskriminierende Besetzungspraxis im Deutschen Theater, Fernsehen und Kino hingewiesen.. Das Jugendtheaterbüro findet dafür den Ausdruck GWMT (Grosses Weisses Mittelstandstheater)

Montag, 21. Oktober 2013

BLACK LUX 1: “Chabine, j’aime te voir!” ”[1]

„Women, Part Two: You might think I’m crazy, but I’m serious“
Rezension : Dr. Daniele Daude

«Je me suis aperçue que l’idée de départ, militante, était trop nette et que sur le plateau, il fallait peut-être mieux que je parte de ma réalité personnelle, plus ambigüe, plus paradoxale, plus irrégulière »[2] erläutert Annabel Guérédrat zur neuen Arbeit der Tanz Compagnie Artincidence. «Women, Part Two» ist die Fortsetzung der 2012 begonnenen Serie „Women“ in der die Tänzerin, Choreographin und Performancekünstlerin sich mit Repräsentationen Schwarzer Frauen befasst[3]. Ausgehend von einem lockeren Szenengerüst improvisieren Ghyslaine Gau, Ana Pi und Annabel Guérédrat teils widersprüchliche, teils sich ergänzende Darstellungen Schwarzer Weiblichkeit. Sie treten abwechselnd solistisch auf, nicht immer aufeinander bezogen, aber stets aufeinander achtend. Die drei TänzerInnen oszillieren dabei zwischen Darstellungen einer selbstbestimmten, sich jenseits von Zuschreibungen bewegenden Schwarzen Weiblichkeit und rassisierten Stereotypen über den Schwarzen weiblichen Körper im weißen Kontext. Ob die Unterwanderung dieser Bilder aufgeht oder nicht, hängt weniger von der intendierten Kritik der PerformerInnen ab, als vielmehr von dem, was und wie dies aufgeführt wird. Dabei drängen sich drei fundamentale Fragen auf. Erstens, welche inszenatorischen Mittel und Gesten[4] werden zur Darstellung Schwarzer Weiblichkeit eingesetzt? Zweitens, auf welche Kontexte und Positionierungen wird angespielt? Und drittens, inwiefern werden die dargestellten Zuschreibungen unterwandert bzw. reproduziert? Um diese vom Stück ausgehenden Problematiken zu erläutern, wird die Performanz anhand vier exemplarischer Szenen beschrieben.

1. Als erstes fällt die ungleiche „Rollen“-Aufteilung der PerformerInnen auf. Während Ghyslaine Gau und Ana Pi mit verschiedenen Topoi jonglieren, fokussiert sich Annabel Guérédrat auf eine äußerst sexualisierte Darstellung durch u.a. hin und her gehende Beckenbewegungen, laszives Stöhnen, Kopulieren mit dem Boden, der Wand oder dem Mikro. Die Krönung dieser Darstellung stellt das Affengeschrei der Tänzerin, wodurch die Übersexualisierung noch mit einem Topos der im 18. Jahrhundert systematisierten und heute immer wieder aktualisierten Rassentheorien überboten wird. Hier drängt sich die Frage auf, wo die „radikale Stellungnahme zwischen Chaos und Grenzüberschreitung“ bleiben möge[5]. Denn wenn koloniale Zuschreibungen konsequent reproduziert werden, fehlt der angekündigte Bruch mit ihnen. Nach der „what’s your name“-Szene führt Guérédrat einen neuen Topos ein: „I’m afraid!“ schreit sie mehrmals durch den Raum. Dieser Schrei enthält in mehrfacher Hinsicht ein subversives Potential. Zunächst bricht er die vorige unterhaltsame Szene abrupt ab und führt übergangslos eine neue beklemmende Atmosphäre[6] ein. Guérédrat öffnet dadurch den Bereich der Angst und der Vulnerabilität und ruft Unbehagen auf, ohne ihn jedoch aufzulösen. Unbehagen und Beklemmung werden umso intensiver, da die Schreie mit der übrigen Bühnenstille (Bewegung und Akustik) in starken Kontrast treten. Statt starker Alternativbilder (wie im Programmheft angekündigt[7]) benutzt Guérédrat hier einen modernen, jedoch nicht minder problematischen Topos, den des „Opfers“[8]. Die Übersexualisierung wird durch Schmerz abgelöst und wir bewegen uns immer noch innerhalb kolonialer Fantasien. Eine gelungene Unterwanderung findet an anderer Stelle statt. Zum Beispiel wenn sie das Mikro abwechselnd als stärkendes Sprachrohr oder als bondage einsetzt. Somit werden die gleichen Materialien (Mikro und Kabel) mal zum Instrument eines Willens, mal zu einer einschränkenden Instanz gemacht. Ausschlaggebend ist die Anwendung des Instruments, nicht das Instrument selbst. Als weiteres Beispiel einer übersexualisierten Darstellung, welche sich jedoch von der Guérédrat unterscheidet dürfte noch Ana Pis Kokosmilch Szene nicht unerwähnt bleiben. Die Szene besteht darin, dass Pi Milch trinkt und sie wieder ausspuckt, zunächst auf den Boden, dann auf ihren Körper und ihre Beine. Kurz danach nimmt sie den Becherinhalt und cremt sich damit ein. Dieser Geste ist insofern erwähnenswert, dass hier eine Transformation stattfindet. Ausgehend von einem sexualisierten Topos transformiert Pi die sexualisierte Handlung in eine alltägliche Handlung der Hautpflege, des Eincremens, so dass jene vorherige sexuellen Assoziation der ZuschauerInnen nur noch leicht beschämt zugegeben werden kann.

2. Mit den Szenen „what’s your name?“, „tu n’es pas vraiment Noire?“ und den sich wiederholenden Sambanummern werden männliche Reaktionen auf Schwarze Weiblichkeit thematisiert. Während die zwei ersten Szenen sich auf einen Schwarzen Kontext beziehen welcher hier also keiner weiteren Erläuterungen bedarf, wird in den Sambanummer mit den Kolonialfantasien eines weißen Kontextes gearbeitet. Die Hauptaussage dieser Szene könnte lauten: „Ihr wollt Samba? Hier ist Samba!“. Von nun an wird die Musik abgespielt und fünfmal wiederholt. Das erste Mal tanzt Annabel Guérédrat Sambaschritte im hinteren jedoch frontalen Bereich während Ghyslaine Gau, kniend mit ausgestreckten Armen hektisch den Boden putzt. Dabei formt sie mit ihrem Körper ein Dreieck zwischen Boden-Armen-Rücken.. Beim zweiten Mal wird die gleiche Inszenierung intensiviert, indem Gau bis zur Erschöpfung putzt, während Guérédrat schneller tanzt. Beim dritten Mal setzt Ana Pi mit Sambaschritten vorne an der Rampe ein. Beim vierten Mal tanzt Pi lächelnd weiter, während Gau den Tisch im Hintergrund geradezu leidenschaftlich putzt. Guérédrat indessen beginnt sich neue Kleider und Perücken auszusuchen, später gefolgt von Pi und Gau, welche dann übergangslos die Musik abstellt. Interessant ist hier der Einsatz der Samba um weiße Repräsentationen Schwarzer Frauen zu thematisieren. Die Szene ist musikalisch (vgl. Karnevalsmusik) und szenisch (durch den Bruch zur vorigen Szene) als unterhaltsam und „lustig“ aufgebaut. Doch die Wiederholungen entfalten sich allmählich als ambivalent, indem sie bereits beim zweiten Mal gleichzeitig Heiterkeit und Unbehagen hervorrufen. Der Eintritt von Pi beim dritten Mal dämpft für kurze Zeit das sich langsam entfaltende Unbehagen ab, bevor dann beim vierten Mal eine dreifache exotisierte Erotisierung mit voller Wucht serviert wird. Dieses vierte Mal bildet den Klimax der Szene. Bemerkenswert an dieser Szene ist ein weiteres Beispiel gelungener Unterwanderung von Kolonialfantasien: die PerformerInnen entscheiden wie sie Exotisierung darstellen und auch wann sie damit aufhören, indem sie sich anderen Aktivitäten widmen ohne auf die Musik zu achten.

3. Als der langsame Satz einer Sonate für Geige und Klavier erklingt, ensteht eine neue Stimmung. Die Lichter werden gedämpft, der Raum färbt sich zu einen dunkleren Gelb. Eine warme, intime und stille Atmosphäre in Kontrast zu den vorigen „what’s your name“ und „Tu n’es pas vraiment Noire“ breitet sich aus. Einzig die lautlosen federnden Sambaschritte von Ana Pi, die durch den ganzen Raum tanzt, scheinen in vollkommenem Gegensatz zur akustischen (durch die langen Klavierakkorde und angehaltenen Töne der Geige) und szenischen Stille (durch die Bewegungen in Zeitlupe von Gau und Guérédrat) zu stehen. Währenddessen macht Gau ihren Dutt in Zeitlupe auf, bevor sie einen Kopfstand auf einem Tamburin macht. Pi löst Gau aus ihrem Kopfstand, indem sie sie hält und langsam dreht. Dadurch beginnen die TänzerInnen eine Serie von lautlosen Drehungen in Zeitlupe auf dem Boden. Durch Gau`s Haarelösen wird Schwarze Intimität auf der Bühne eingeführt. Im Laufe des folgenden Duetts wird diese neue Repräsentation verlängert und verdoppelt, indem beide sich gegenseitig behutsam auf dem Boden drehen bzw. gedreht werden. Mit diesen gestischen Metaphern bringt die Szene, im Hinblick auf die obigen Problematiken, eine gelungene inszenatorische Unterwanderung weißer Zuschreibungen auf die Bühne.             

4. Unmittelbar nach der Sambaszene entsteht ein etwas hängender ungewollter Leerlauf währenddessen sich die TänzerInnen umziehen. Das bisher aus zu hoch gezogenen Damenboxershorts und BH bestehende Outfit wird durch die Kombination Jeans und ärmelloses T-Shirts ersetzt. In den Farben der Fahne Frankreichs setzen sich Pi (blau, links), Guérédrat (weiß/beige, frontal) und Gau (rot/rosa, rechts) in einen Halbkreis. Sie verharren einen Augenblick bewegungslos, bevor sie damit anfangen, ihr T-Shirt in äußerster Langsamkeit auszuziehen. Auch wenn dieser Vorgang nicht mehr als zwei Minuten dauern mag, wirkt er sehr lang gezogen. Dann unterhalten sich die drei Frauen miteinander. Es ist geradezu frappierend zu merken, wie sehr die Auffassung dieser Szene von den jeweiligen gesellschaftlichen Positionierungen und Sensibilisierungen der ZuschauerInnen abhängt. Sie kann sowohl als unendliche Qual empfunden werden, als auch als ästhetischer Klimax, in welchem der Vorgang des Entkleidens den voyeuristischen ZuschauerInnenblick thematisiert. Genauso verhält es sich mit der darauffolgenden Nacktheit der Frauen. Durch ihre Gespräche scheint diese in den Hintergrund zu treten, die Aufmerksamkeit der ZuschauerInnen wird allmählich von einer visuellen auf eine sprachlich-akustische Ebene gelenkt. Doch nackte Schwarze Frauen auf einer Bühne entstammen einer Jahrhunderte zurückliegenden Kolonialpraxis[9], die weder mit Tanz noch mit Theater zu tun hat. Wenn diese Repräsentationen auf der Bühne stattfinden, sind sie also bereits schwer beladen und daher recht schwierig neu, gar subversiv zu besetzen wie es hier der Anspruch ist. Offen bleibt darüber hinaus die grundlegende Frage nach der Zielgruppe dieses Stückes. Schwarze Frauen stehen im Mittelpunkt der Darstellungen, doch scheinen sie als Publikum nicht mitgedacht zu sein. Denn wenn Brüche, Transformationen und Alternativbilder zu der übersexualisierten und rassisierten weißen Fantasie zwar gelegentlich vorkommen, so besteht die Arbeit überwiegend aus der Reproduktion dieser Bilder. Wer soll dadurch unterhalten werden und auf wessen Kosten? 

Women Part 2: You Might Think I’m Crazy But I’m Serious
Black Lux Festival im Ballhaus Naunynstrasse | 28.-30. August
Mit Ana Pi, Ghyslaine Gau und Annabel Guérédrat|



[1]  „Hey Süße, Du siehst gut aus!“
[2] „Mir schien, dass der Ausgangspunkt [ein Stück über Schwarzen Feminismus machen zu wollen], zu militant und deutlich für die Bühne war. Für mich war es besser von meiner ganz persönlichen Realität auszugehen, die viel ambivalenter, widersprüchlicher und unregelmäßiger ist.“
[3] Vgl.  „Women“ (Rio de Janeiro, 2012) Duo mit Monica Da Costa und Trio mit Ghyslaine Gau und Ana Pi (u.a. Fort-de-France 2012) beschäftigt sich mit Repräsentationen von Schwarzen Frauen in weißen und Schwarzen Kontexten; A freak show for S.“ (Montréal, 2011) Solostück in Hommage an Sara Baartmann; Un solo qui ne va pas plaire à ma mère“ (Montpellier, 2009) Solostück über die Widersprüchlichkeit der karaibischen Identitäten.
[4]  Vgl. Daude, Daniele: „Gesten-Knoten-Korrespondenz“ In: Oper als Aufführung, Bielefeld 2013
[5] Vgl. „Women, Part Two: You might think I’m crazy, but I’m serious“ erkundet den weiblichen Körper als einen politischen Körper, der aus Fantasien besteht, die auf ihn projiziert werden. Eine radikale Stellungnahme zwischen Chaos und Grenzüberschreitung“. In Black Lux – Ein Heimatfest aus Schwarzen Perspektiven, Ballhaus Naunynstrasse, Programmheft, Berlin 28-29. August 2013   
[6] Vgl. Schouten, Sabine: Sinnliches Spüren: Wahrnehmung und Erzeugung von Atmosphären im Theater, Berlin 2007
[7] Vgl. „[Nina Simone] und andere der ganz Großen - Josephine Baker, Rosa Parks, Angela Davis, Toni Morrison, Audre Lorde und viele andere mehr- inspirieren im Zusammenspiel mit den eigenen Biografien der Künstlerinnen von Cie Artincidence eine queere Performance“. In Black Lux – Ein Heimatfest aus Schwarzen Perspektiven, Ballhaus Naunynstrasse, Programmheft, Berlin 28-29. August 2013   
[8] Vgl. hooks, bell: „Ending female sexual oppression“ In: Feminist Theory. From Margin To Center, Cambridge 2nd Ed. 2000
[9] Vgl. Verkauf von Versklavten Menschen auf Märkte, Europäische Völker- und Freakschauen etc.