Dienstag, 16. Juli 2013

Das stille Band von Ruth WIESENFELD und Magda KORSINSKY



Das stille Band. Eine choreographische a capella Oper (UA 2012)
Musik und musikalische Leitung: Ruth WIESENFELD 
Konzeption und Choreographie: Magda KORSINSKY

Die Aufführung beginnt mit zwei minimalen Gesten. Nachdem eine dauerhafte Stille im Raum eingetreten ist, wird das gesungene pianississimo allmählich vernehmbar. Die kaum hörbaren, lang liegenden Töne werden ein-, zwei-, und dreistimmig erzeugt, während die Dynamik das pianissimo nicht überschreitet. Da alle Partien sich in einem mittleren Bereich befinden – also vom hohen Bereich des Bass-Baritons bis zum tiefen Bereich der Mezzosopranistin, vermischen sich Männer- und Frauenstimmen in einer Art homogenisierenden Klangwolke. Spätestens hier wird die Rolle der hallenden Akustik von der St. Johannes Evangelist-Kirche  spürbar. Es wird mit dem Echo gearbeitet, auf es gewartet, darauf aufgebaut und es wird gebrochen. Das erste forte wird von einem gemischten Duett unter der Vierung vollzogen, wo durch der akustische Klimax des Raumes vollständig ausgenutzt wird. Der zweite minimale Gestus erfolgt choreographisch: in äußerster Langsamkeit wachen die Sänger_innen aus ihrer Starre auf und lösen sich aus dem engen menschlichen Konglomerat, das sie anfangs bilden. Sie bewegen sich zunächst in steigender Geschwindigkeit, doch diese wird dann wieder verlangsamt. Wer die Gruppenbewegungen zu systematisieren versucht, wird zwischen zwei äußerst gegensätzlichen Interpretationen oszillieren: handeln die Figuren nach dem Zufallsprinzip oder agieren sie nach genauen Regeln, welche dem Publikum jedoch verborgen bleiben? Diese Frage erübrigt sich im Laufe der Aufführung, denn nicht die Findung von verborgenen Regeln ist hier das Thema, sondern die Flüchtigkeit und die Fragilität einer Gruppenkonstellation.

Die fünf Sänger_innen bewegen sich auf eine etwa 2,30 Meter breite und 20 Meter lange Fläche, was mit dem mittleren Haupt- und Seitenschiffe bis zur Vierung der Johannes Evangelist-Kirche korrespondiert. Anfangs gestalten die Sänger_innen menschliche Konglomerate, in welche Figuren abwechselnd ein- und ausgeschlossen werden. Wir wohnen einer Aneinanderreihung von tableaus vivants bei, welche zugleich Ergebnis der vergangenen Konstellation und Ausgangspunkt der nächsten sind. Die Bilder sind daher stets ambivalent, flüchtig und labil. Um von einem Bild zum anderen überzugehen werden verschiedene Übergangstechniken eingesetzt. In diesen kostbaren Momenten, in denen die vergangene Konstellation bereits aufgelöst wurde, die Neue jedoch noch nicht entstanden ist, werden wirkungsvolle Spannungsmomente der Aufführung erzeugt. Hier bewegen sich die Sänger_innen mal laufend, mal rennend, doch es erfolgt keine lineare Dramaturgie der Geschwindigkeit. Vielmehr dienen diese Abläufe dazu, Zeit und Raum zu strukturieren. Verlangsamung und Beschleunigung dynamisieren und rhythmisieren abwechselnd die Aufführung. Neben der Gruppenbewegung führen die Sängerinnen auch Soli auf, während derer die Einzelfiguren individualisiert werden. Besonders auffällig sind zwei stark voneinander kontrastierende Figuren, welche jedoch nicht aufeinander bezogen werden. Der Countertenor (Philipp Caspari) eröffnet den solistischen Teil mit einer anspruchsvollen Leistung aus geschmeidigen Drehungen, Senkungen und plötzlichen Streckungen über eine lange Zeit hinaus, wobei er den ganzen Raum nutzt. Anders der Bass-Bariton (Philipp Mayer) dessen Soli aus Biegungen und Streckungen von Beinen, Rücken und Hals bestehen. Seine Bewegungen erfolgen in viel engeren Raum doch vollzieht er die Übergänge von einem Konglomerat zum anderen besonders zielstrebig und raumeinnehmend, so dass diese zwei Figuren für zwei sehr unterschiedliche Nutzungen des Raumes stehen.

Die Musik von Ruth Wiesenfeld (1972) mag anfangs noch an Ligetis Lux Aeterna erinnern, doch der Vergleich hört auch bald auf. Denn die mittlerweile nicht mehr unbekannte Figur der Neuen Musik komponierte hier ein flexibles Tongerüst mit lang anhaltenden Tönen, eingeplanten Echos und stimmlicher Distorsion, auf welchen die Sänger_nnen die theatralen Vorgänge sehr individuell gestalten konnten. Auch die Musik selbst ist theatral denn sie entfaltet sich erst vollständig auf der Bühne. Der wirkungsvolle Übergang von der Stille zum Ton am Anfang dürfte dafür exemplarisch sein - wobei der Erfolg dieser heiklen Passage sehr von der Performance des Ensembles abhängt. Die junge Choreographin Magda Korsinsky (1981) sollte man im Auge behalten denn sie gehört zweifelsohne zu einer aufsteigenden Generation zeitgenössischer Choreograph_innen, die sich an Gattungsgrenzen nicht halten.                         

Das stille Band (UA 2012), Wiederaufnahme 15. und 16. März 2013
Idee/Konzept/Choreographie: Magda Korsinsky
Komposition/musikalische Leitung: Ruth Wiesenfeld
Komposition/Choreographie/Performance: Johanne Braun, Philipp Caspari,
Beate von Hahn, Philipp Mayer, Antonia Munding, Oliver Uden
Licht: Lutz Deppe, Nives Rest (Mitarbeit)
Bühne: Paula Doepfner, Kostüme: Miriam Marto
Choreographische Beratung: Jan Burkhardt

Mit: Johanne Braun (Alt), Philipp Caspari (Countertenor), Philipp Mayer (Bass-Bariton), Antonia Munding (Mezzosoprano), Oliver Uden (Tenor)

Daniele G. Daude

1 Kommentar:

  1. Fotos von MIRIAM_MARTO
    http://miriammarto.com/das-stille-band.html

    Video
    http://vimeo.com/45779848

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