Montag, 21. Oktober 2013

BLACK LUX 1: “Chabine, j’aime te voir!” ”[1]

„Women, Part Two: You might think I’m crazy, but I’m serious“
Rezension : Dr. Daniele Daude

«Je me suis aperçue que l’idée de départ, militante, était trop nette et que sur le plateau, il fallait peut-être mieux que je parte de ma réalité personnelle, plus ambigüe, plus paradoxale, plus irrégulière »[2] erläutert Annabel Guérédrat zur neuen Arbeit der Tanz Compagnie Artincidence. «Women, Part Two» ist die Fortsetzung der 2012 begonnenen Serie „Women“ in der die Tänzerin, Choreographin und Performancekünstlerin sich mit Repräsentationen Schwarzer Frauen befasst[3]. Ausgehend von einem lockeren Szenengerüst improvisieren Ghyslaine Gau, Ana Pi und Annabel Guérédrat teils widersprüchliche, teils sich ergänzende Darstellungen Schwarzer Weiblichkeit. Sie treten abwechselnd solistisch auf, nicht immer aufeinander bezogen, aber stets aufeinander achtend. Die drei TänzerInnen oszillieren dabei zwischen Darstellungen einer selbstbestimmten, sich jenseits von Zuschreibungen bewegenden Schwarzen Weiblichkeit und rassisierten Stereotypen über den Schwarzen weiblichen Körper im weißen Kontext. Ob die Unterwanderung dieser Bilder aufgeht oder nicht, hängt weniger von der intendierten Kritik der PerformerInnen ab, als vielmehr von dem, was und wie dies aufgeführt wird. Dabei drängen sich drei fundamentale Fragen auf. Erstens, welche inszenatorischen Mittel und Gesten[4] werden zur Darstellung Schwarzer Weiblichkeit eingesetzt? Zweitens, auf welche Kontexte und Positionierungen wird angespielt? Und drittens, inwiefern werden die dargestellten Zuschreibungen unterwandert bzw. reproduziert? Um diese vom Stück ausgehenden Problematiken zu erläutern, wird die Performanz anhand vier exemplarischer Szenen beschrieben.

1. Als erstes fällt die ungleiche „Rollen“-Aufteilung der PerformerInnen auf. Während Ghyslaine Gau und Ana Pi mit verschiedenen Topoi jonglieren, fokussiert sich Annabel Guérédrat auf eine äußerst sexualisierte Darstellung durch u.a. hin und her gehende Beckenbewegungen, laszives Stöhnen, Kopulieren mit dem Boden, der Wand oder dem Mikro. Die Krönung dieser Darstellung stellt das Affengeschrei der Tänzerin, wodurch die Übersexualisierung noch mit einem Topos der im 18. Jahrhundert systematisierten und heute immer wieder aktualisierten Rassentheorien überboten wird. Hier drängt sich die Frage auf, wo die „radikale Stellungnahme zwischen Chaos und Grenzüberschreitung“ bleiben möge[5]. Denn wenn koloniale Zuschreibungen konsequent reproduziert werden, fehlt der angekündigte Bruch mit ihnen. Nach der „what’s your name“-Szene führt Guérédrat einen neuen Topos ein: „I’m afraid!“ schreit sie mehrmals durch den Raum. Dieser Schrei enthält in mehrfacher Hinsicht ein subversives Potential. Zunächst bricht er die vorige unterhaltsame Szene abrupt ab und führt übergangslos eine neue beklemmende Atmosphäre[6] ein. Guérédrat öffnet dadurch den Bereich der Angst und der Vulnerabilität und ruft Unbehagen auf, ohne ihn jedoch aufzulösen. Unbehagen und Beklemmung werden umso intensiver, da die Schreie mit der übrigen Bühnenstille (Bewegung und Akustik) in starken Kontrast treten. Statt starker Alternativbilder (wie im Programmheft angekündigt[7]) benutzt Guérédrat hier einen modernen, jedoch nicht minder problematischen Topos, den des „Opfers“[8]. Die Übersexualisierung wird durch Schmerz abgelöst und wir bewegen uns immer noch innerhalb kolonialer Fantasien. Eine gelungene Unterwanderung findet an anderer Stelle statt. Zum Beispiel wenn sie das Mikro abwechselnd als stärkendes Sprachrohr oder als bondage einsetzt. Somit werden die gleichen Materialien (Mikro und Kabel) mal zum Instrument eines Willens, mal zu einer einschränkenden Instanz gemacht. Ausschlaggebend ist die Anwendung des Instruments, nicht das Instrument selbst. Als weiteres Beispiel einer übersexualisierten Darstellung, welche sich jedoch von der Guérédrat unterscheidet dürfte noch Ana Pis Kokosmilch Szene nicht unerwähnt bleiben. Die Szene besteht darin, dass Pi Milch trinkt und sie wieder ausspuckt, zunächst auf den Boden, dann auf ihren Körper und ihre Beine. Kurz danach nimmt sie den Becherinhalt und cremt sich damit ein. Dieser Geste ist insofern erwähnenswert, dass hier eine Transformation stattfindet. Ausgehend von einem sexualisierten Topos transformiert Pi die sexualisierte Handlung in eine alltägliche Handlung der Hautpflege, des Eincremens, so dass jene vorherige sexuellen Assoziation der ZuschauerInnen nur noch leicht beschämt zugegeben werden kann.

2. Mit den Szenen „what’s your name?“, „tu n’es pas vraiment Noire?“ und den sich wiederholenden Sambanummern werden männliche Reaktionen auf Schwarze Weiblichkeit thematisiert. Während die zwei ersten Szenen sich auf einen Schwarzen Kontext beziehen welcher hier also keiner weiteren Erläuterungen bedarf, wird in den Sambanummer mit den Kolonialfantasien eines weißen Kontextes gearbeitet. Die Hauptaussage dieser Szene könnte lauten: „Ihr wollt Samba? Hier ist Samba!“. Von nun an wird die Musik abgespielt und fünfmal wiederholt. Das erste Mal tanzt Annabel Guérédrat Sambaschritte im hinteren jedoch frontalen Bereich während Ghyslaine Gau, kniend mit ausgestreckten Armen hektisch den Boden putzt. Dabei formt sie mit ihrem Körper ein Dreieck zwischen Boden-Armen-Rücken.. Beim zweiten Mal wird die gleiche Inszenierung intensiviert, indem Gau bis zur Erschöpfung putzt, während Guérédrat schneller tanzt. Beim dritten Mal setzt Ana Pi mit Sambaschritten vorne an der Rampe ein. Beim vierten Mal tanzt Pi lächelnd weiter, während Gau den Tisch im Hintergrund geradezu leidenschaftlich putzt. Guérédrat indessen beginnt sich neue Kleider und Perücken auszusuchen, später gefolgt von Pi und Gau, welche dann übergangslos die Musik abstellt. Interessant ist hier der Einsatz der Samba um weiße Repräsentationen Schwarzer Frauen zu thematisieren. Die Szene ist musikalisch (vgl. Karnevalsmusik) und szenisch (durch den Bruch zur vorigen Szene) als unterhaltsam und „lustig“ aufgebaut. Doch die Wiederholungen entfalten sich allmählich als ambivalent, indem sie bereits beim zweiten Mal gleichzeitig Heiterkeit und Unbehagen hervorrufen. Der Eintritt von Pi beim dritten Mal dämpft für kurze Zeit das sich langsam entfaltende Unbehagen ab, bevor dann beim vierten Mal eine dreifache exotisierte Erotisierung mit voller Wucht serviert wird. Dieses vierte Mal bildet den Klimax der Szene. Bemerkenswert an dieser Szene ist ein weiteres Beispiel gelungener Unterwanderung von Kolonialfantasien: die PerformerInnen entscheiden wie sie Exotisierung darstellen und auch wann sie damit aufhören, indem sie sich anderen Aktivitäten widmen ohne auf die Musik zu achten.

3. Als der langsame Satz einer Sonate für Geige und Klavier erklingt, ensteht eine neue Stimmung. Die Lichter werden gedämpft, der Raum färbt sich zu einen dunkleren Gelb. Eine warme, intime und stille Atmosphäre in Kontrast zu den vorigen „what’s your name“ und „Tu n’es pas vraiment Noire“ breitet sich aus. Einzig die lautlosen federnden Sambaschritte von Ana Pi, die durch den ganzen Raum tanzt, scheinen in vollkommenem Gegensatz zur akustischen (durch die langen Klavierakkorde und angehaltenen Töne der Geige) und szenischen Stille (durch die Bewegungen in Zeitlupe von Gau und Guérédrat) zu stehen. Währenddessen macht Gau ihren Dutt in Zeitlupe auf, bevor sie einen Kopfstand auf einem Tamburin macht. Pi löst Gau aus ihrem Kopfstand, indem sie sie hält und langsam dreht. Dadurch beginnen die TänzerInnen eine Serie von lautlosen Drehungen in Zeitlupe auf dem Boden. Durch Gau`s Haarelösen wird Schwarze Intimität auf der Bühne eingeführt. Im Laufe des folgenden Duetts wird diese neue Repräsentation verlängert und verdoppelt, indem beide sich gegenseitig behutsam auf dem Boden drehen bzw. gedreht werden. Mit diesen gestischen Metaphern bringt die Szene, im Hinblick auf die obigen Problematiken, eine gelungene inszenatorische Unterwanderung weißer Zuschreibungen auf die Bühne.             

4. Unmittelbar nach der Sambaszene entsteht ein etwas hängender ungewollter Leerlauf währenddessen sich die TänzerInnen umziehen. Das bisher aus zu hoch gezogenen Damenboxershorts und BH bestehende Outfit wird durch die Kombination Jeans und ärmelloses T-Shirts ersetzt. In den Farben der Fahne Frankreichs setzen sich Pi (blau, links), Guérédrat (weiß/beige, frontal) und Gau (rot/rosa, rechts) in einen Halbkreis. Sie verharren einen Augenblick bewegungslos, bevor sie damit anfangen, ihr T-Shirt in äußerster Langsamkeit auszuziehen. Auch wenn dieser Vorgang nicht mehr als zwei Minuten dauern mag, wirkt er sehr lang gezogen. Dann unterhalten sich die drei Frauen miteinander. Es ist geradezu frappierend zu merken, wie sehr die Auffassung dieser Szene von den jeweiligen gesellschaftlichen Positionierungen und Sensibilisierungen der ZuschauerInnen abhängt. Sie kann sowohl als unendliche Qual empfunden werden, als auch als ästhetischer Klimax, in welchem der Vorgang des Entkleidens den voyeuristischen ZuschauerInnenblick thematisiert. Genauso verhält es sich mit der darauffolgenden Nacktheit der Frauen. Durch ihre Gespräche scheint diese in den Hintergrund zu treten, die Aufmerksamkeit der ZuschauerInnen wird allmählich von einer visuellen auf eine sprachlich-akustische Ebene gelenkt. Doch nackte Schwarze Frauen auf einer Bühne entstammen einer Jahrhunderte zurückliegenden Kolonialpraxis[9], die weder mit Tanz noch mit Theater zu tun hat. Wenn diese Repräsentationen auf der Bühne stattfinden, sind sie also bereits schwer beladen und daher recht schwierig neu, gar subversiv zu besetzen wie es hier der Anspruch ist. Offen bleibt darüber hinaus die grundlegende Frage nach der Zielgruppe dieses Stückes. Schwarze Frauen stehen im Mittelpunkt der Darstellungen, doch scheinen sie als Publikum nicht mitgedacht zu sein. Denn wenn Brüche, Transformationen und Alternativbilder zu der übersexualisierten und rassisierten weißen Fantasie zwar gelegentlich vorkommen, so besteht die Arbeit überwiegend aus der Reproduktion dieser Bilder. Wer soll dadurch unterhalten werden und auf wessen Kosten? 

Women Part 2: You Might Think I’m Crazy But I’m Serious
Black Lux Festival im Ballhaus Naunynstrasse | 28.-30. August
Mit Ana Pi, Ghyslaine Gau und Annabel Guérédrat|



[1]  „Hey Süße, Du siehst gut aus!“
[2] „Mir schien, dass der Ausgangspunkt [ein Stück über Schwarzen Feminismus machen zu wollen], zu militant und deutlich für die Bühne war. Für mich war es besser von meiner ganz persönlichen Realität auszugehen, die viel ambivalenter, widersprüchlicher und unregelmäßiger ist.“
[3] Vgl.  „Women“ (Rio de Janeiro, 2012) Duo mit Monica Da Costa und Trio mit Ghyslaine Gau und Ana Pi (u.a. Fort-de-France 2012) beschäftigt sich mit Repräsentationen von Schwarzen Frauen in weißen und Schwarzen Kontexten; A freak show for S.“ (Montréal, 2011) Solostück in Hommage an Sara Baartmann; Un solo qui ne va pas plaire à ma mère“ (Montpellier, 2009) Solostück über die Widersprüchlichkeit der karaibischen Identitäten.
[4]  Vgl. Daude, Daniele: „Gesten-Knoten-Korrespondenz“ In: Oper als Aufführung, Bielefeld 2013
[5] Vgl. „Women, Part Two: You might think I’m crazy, but I’m serious“ erkundet den weiblichen Körper als einen politischen Körper, der aus Fantasien besteht, die auf ihn projiziert werden. Eine radikale Stellungnahme zwischen Chaos und Grenzüberschreitung“. In Black Lux – Ein Heimatfest aus Schwarzen Perspektiven, Ballhaus Naunynstrasse, Programmheft, Berlin 28-29. August 2013   
[6] Vgl. Schouten, Sabine: Sinnliches Spüren: Wahrnehmung und Erzeugung von Atmosphären im Theater, Berlin 2007
[7] Vgl. „[Nina Simone] und andere der ganz Großen - Josephine Baker, Rosa Parks, Angela Davis, Toni Morrison, Audre Lorde und viele andere mehr- inspirieren im Zusammenspiel mit den eigenen Biografien der Künstlerinnen von Cie Artincidence eine queere Performance“. In Black Lux – Ein Heimatfest aus Schwarzen Perspektiven, Ballhaus Naunynstrasse, Programmheft, Berlin 28-29. August 2013   
[8] Vgl. hooks, bell: „Ending female sexual oppression“ In: Feminist Theory. From Margin To Center, Cambridge 2nd Ed. 2000
[9] Vgl. Verkauf von Versklavten Menschen auf Märkte, Europäische Völker- und Freakschauen etc.