Samstag, 7. März 2015

"Oper als Aufführung" von Dr. Daniele Daude. Rezension im Opernnetz


Empirie ist besser als Dokumente


Mit ihrem Buch Oper als Aufführung wendet sich Daniele Daude an ein musikwissenschaftlich interessiertes Fachpublikum. Sie erweitert ihre 2009 abgeschlossene Dissertation um weitere Forschungsarbeiten aus den Jahren 2009 – 2013 und stellt eine Opernanalyse vor, für die sie neue, zum Teil empirisch einzusetzende Techniken beschreibt. Zudem entwickelt sie eine Begriffsapparatur, mit der sie die Opernanalyse aus der Tradition der quellenbasierten Arbeit lösen möchte, um zu einer aufführungsbasierten Analyse zu kommen. Sie plädiert für die Ablösung der bisherigen „textzentrierten Opernforschung“ durch eine „szenenorientierte Musiktheater-Forschung“. Wie andere Musikwissenschaftler möchte sie die „zunehmende Distanz zwischen modernen musiktheatralen Praktiken und historisch orientierter musikwissenschaftlicher Opernanalyse“ überwinden. Hierzu entwickelt und definiert sie als systematisches Instrumentarium die BegriffeGesten, Knoten und Korrespondenz, mit denen sie die „Prägung einer Opernaufführung“ beschreiben möchte. In einem Vier-Schritte-Prozess will sie Performanz-orientierte Analysen erstellen, die nicht von den Dokumenten einer Oper oder eines Musiktheaters wie Partitur, Libretto und Regieanweisungen, sondern von der Aufnahme eines Stückes durch die Zuschauer ausgehen. Diese möchte Daude durch Besuchsprotokolle ermitteln, sie sieht darin eine „grundlegende methodische Veränderung“.

Daude erläutert und definiert zunächst grundlegende Begriffe wie Operund Musiktheater und skizziert deren begriffsgeschichtliche Entwicklung. Interessant ist zu erfahren, welche Rolle Richard Wagner und seine musiktheoretischen Arbeiten in der Musikanalyse spielen. In Erläuterungen zur Methode geht sie auf ihre Protokollmethode als „Ausgangspunkt der Aufführungsanalyse“ ein und wendet sie bei mehreren Opernanalysen an: Sie analysiert insgesamt sieben Inszenierungen von Ruth Berghaus, Il Barbiere di Siviglia und Pelléas und Mélisande in den Jahren 2002 – 2008 an der Staatsoper Unter den Linden, Berlin. Sie begründet diese Wahl mit den „meisten aufführungsanalytischen Erkenntnisse(n), die sich…in eine umfassende Untersuchung der Problematik der Opernanalyse … einbeziehen“ lassen. Diese Analysen bilden mit mehr als 200 Seiten den Hauptteil des Buches und unterstreichen noch einmal den fachwissenschaftlichen Anspruch des Titels. Nach einer ausführlichen und detaillierten Historiographie der musikwissenschaftlichen Opernanalyse präsentiert Daude insgesamt sieben Opernanalysen, in denen sie ihr eigenes Instrumentarium anwendet. Diese äußerst detaillierten und umfangreichen Protokolle und Analysen fasst sie am Ende der Beispiele tabellarisch zusammen und erleichtert dadurch einen Vergleich der Aufführungen. In ihren abschließenden Bemerkungen zur Ethik der Opernanalyse stellt Daude fest, dass ihre neu entwickelten Begriffe und Methoden die „performativen Opernkomponenten“ zu erfassen vermochten und sich bewährt haben.

Daniele Daudes Buch Oper als Aufführung behält die Grundstruktur einer Dissertation, ergänzt um einige Exkurse, weitgehend bei. Die Arbeit dürfte fachwissenschaftlich neue Anstöße liefern, die über die wissenschaftsinterne Diskussion hinausreichen. Besonders interessant erscheint ihr Ansatz, eine Verbindung zu neuen Regiekonzepten zu suchen und performative Elemente systematisch in die Opernanalyse einzubeziehen. Ob das von Daude entwickelte begriffliche und methodische Instrumentarium von der Musiktheater-Forschung rezipiert wird, lässt sich noch kaum abschätzen. Dem einen oder anderen Theaterjournalisten mag die von Daude vorgenommene Begriffsschärfung durchaus hilfreich sein, als Vorbereitung oder Nachlese eines entspannt genossenen Opernabends dürfte sie zu komplex und differenziert sein. Die Schlüssigkeit und Nützlichkeit der von Daude erarbeiteten Neukonzeption der Opernanalyse hängt von zwei Faktoren ab: Zum einen von ihrer Resonanz im wissenschaftlichen Diskurs, der nur langfristig verläuft – und von der Kreativität des Theatergeschehens auf den Bühnen. Dieser Kreativität kann Wissenschaft immer nur analysierend folgen, sie beschreiben und systematisieren – post festum. Die Realität, ihre Performanz in Intensität oder Richtung beeinflussen kann sie nicht.

Horst Dichanz, 28.9.2014

Daniele Daude promovierte 2011 am Institut für Theaterwissenschaft der Freien Universität Berlin und am Institut für Musikwissenschaft der Université Paris 8. Sie lehrt seit 2008 an deutschen und französischen Hochschulen (Humboldt-Universität zu Berlin, Universität der Künste, Campus Caraibéen des Arts) und forscht zu den Themen Opernregie, Opernanalyse, Theatersemiotik und Theorie des Performativen. Neben opernanalytischen Abhandlungen und zahlreichen Inszenierungs- und Aufführungsanalysen verfasste sie Bücher- und Filmrezensionen, Übersetzungen und Essays.

http://www.opernnetz.de/seiten/buch/Buch_Daude_Dichanz_140928.htm

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