„Women, Part Two: You might think I’m crazy, but I’m
serious“
Rezension : Dr. Daniele Daude
«Je me suis aperçue que l’idée
de départ, militante, était trop nette et que sur le plateau, il fallait
peut-être mieux que je parte de ma réalité personnelle, plus ambigüe, plus
paradoxale, plus irrégulière »[2] erläutert Annabel Guérédrat zur
neuen Arbeit der Tanz Compagnie Artincidence. «Women, Part Two» ist die Fortsetzung der 2012 begonnenen Serie
„Women“ in der die Tänzerin, Choreographin und Performancekünstlerin sich mit
Repräsentationen Schwarzer Frauen befasst[3]. Ausgehend von
einem lockeren Szenengerüst improvisieren Ghyslaine Gau, Ana Pi und Annabel
Guérédrat teils widersprüchliche, teils sich ergänzende Darstellungen Schwarzer
Weiblichkeit. Sie treten abwechselnd solistisch auf, nicht immer aufeinander
bezogen, aber stets aufeinander achtend. Die drei TänzerInnen oszillieren dabei
zwischen Darstellungen einer selbstbestimmten, sich jenseits von Zuschreibungen
bewegenden Schwarzen Weiblichkeit und rassisierten Stereotypen über den
Schwarzen weiblichen Körper im weißen
Kontext. Ob die Unterwanderung dieser Bilder aufgeht oder nicht, hängt weniger
von der intendierten Kritik der PerformerInnen ab, als vielmehr von dem, was und wie dies aufgeführt wird. Dabei drängen sich drei fundamentale
Fragen auf. Erstens, welche inszenatorischen Mittel und Gesten[4] werden
zur Darstellung Schwarzer Weiblichkeit eingesetzt? Zweitens, auf welche
Kontexte und Positionierungen wird angespielt? Und drittens, inwiefern werden
die dargestellten Zuschreibungen unterwandert bzw. reproduziert? Um diese vom
Stück ausgehenden Problematiken zu erläutern, wird die Performanz anhand vier
exemplarischer Szenen beschrieben.
1. Als erstes fällt die ungleiche „Rollen“-Aufteilung
der PerformerInnen auf. Während Ghyslaine Gau und Ana Pi mit verschiedenen
Topoi jonglieren, fokussiert sich Annabel Guérédrat auf eine äußerst
sexualisierte Darstellung durch u.a. hin und her gehende Beckenbewegungen,
laszives Stöhnen, Kopulieren mit dem Boden, der Wand oder dem Mikro. Die
Krönung dieser Darstellung stellt das Affengeschrei der Tänzerin, wodurch die
Übersexualisierung noch mit einem Topos der im 18. Jahrhundert systematisierten
und heute immer wieder aktualisierten Rassentheorien überboten wird. Hier
drängt sich die Frage auf, wo die „radikale Stellungnahme zwischen Chaos und
Grenzüberschreitung“ bleiben möge[5]. Denn
wenn koloniale Zuschreibungen konsequent reproduziert werden, fehlt der
angekündigte Bruch mit ihnen. Nach der „what’s your name“-Szene führt Guérédrat
einen neuen Topos ein: „I’m afraid!“ schreit sie mehrmals durch den Raum.
Dieser Schrei enthält in mehrfacher Hinsicht ein subversives Potential.
Zunächst bricht er die vorige unterhaltsame Szene abrupt ab und führt übergangslos
eine neue beklemmende Atmosphäre[6] ein.
Guérédrat öffnet dadurch den Bereich der Angst und der Vulnerabilität und ruft
Unbehagen auf, ohne ihn jedoch aufzulösen. Unbehagen und Beklemmung werden umso
intensiver, da die Schreie mit der übrigen Bühnenstille (Bewegung und Akustik)
in starken Kontrast treten. Statt starker Alternativbilder (wie im Programmheft
angekündigt[7])
benutzt Guérédrat hier einen modernen, jedoch nicht minder problematischen
Topos, den des „Opfers“[8]. Die
Übersexualisierung wird durch Schmerz abgelöst und wir bewegen uns immer noch
innerhalb kolonialer Fantasien. Eine gelungene Unterwanderung findet an anderer
Stelle statt. Zum Beispiel wenn sie das Mikro abwechselnd als stärkendes
Sprachrohr oder als bondage einsetzt. Somit werden die gleichen Materialien
(Mikro und Kabel) mal zum Instrument eines Willens, mal zu einer
einschränkenden Instanz gemacht. Ausschlaggebend ist die Anwendung des
Instruments, nicht das Instrument selbst. Als weiteres Beispiel einer
übersexualisierten Darstellung, welche sich jedoch von der Guérédrat
unterscheidet dürfte noch Ana Pis Kokosmilch Szene nicht unerwähnt bleiben. Die
Szene besteht darin, dass Pi Milch trinkt und sie wieder ausspuckt, zunächst
auf den Boden, dann auf ihren Körper und ihre Beine. Kurz danach nimmt sie den
Becherinhalt und cremt sich damit ein. Dieser Geste ist insofern erwähnenswert,
dass hier eine Transformation stattfindet. Ausgehend von einem sexualisierten
Topos transformiert Pi die sexualisierte Handlung in eine alltägliche Handlung
der Hautpflege, des Eincremens, so dass jene vorherige sexuellen Assoziation
der ZuschauerInnen nur noch leicht beschämt zugegeben werden kann.
2. Mit den Szenen „what’s your name?“, „tu n’es pas
vraiment Noire?“ und den sich wiederholenden Sambanummern werden männliche
Reaktionen auf Schwarze Weiblichkeit thematisiert. Während die zwei ersten
Szenen sich auf einen Schwarzen Kontext beziehen welcher hier also keiner
weiteren Erläuterungen bedarf, wird in den Sambanummer mit den
Kolonialfantasien eines weißen
Kontextes gearbeitet. Die Hauptaussage dieser Szene könnte lauten: „Ihr wollt
Samba? Hier ist Samba!“. Von nun an wird die Musik abgespielt und fünfmal
wiederholt. Das erste Mal tanzt Annabel Guérédrat Sambaschritte im hinteren
jedoch frontalen Bereich während Ghyslaine Gau, kniend mit ausgestreckten Armen
hektisch den Boden putzt. Dabei formt sie mit ihrem Körper ein Dreieck zwischen
Boden-Armen-Rücken.. Beim zweiten Mal wird die gleiche Inszenierung
intensiviert, indem Gau bis zur Erschöpfung putzt, während Guérédrat schneller
tanzt. Beim dritten Mal setzt Ana Pi mit Sambaschritten vorne an der Rampe ein.
Beim vierten Mal tanzt Pi lächelnd weiter, während Gau den Tisch im Hintergrund
geradezu leidenschaftlich putzt. Guérédrat indessen beginnt sich neue Kleider
und Perücken auszusuchen, später gefolgt von Pi und Gau, welche dann
übergangslos die Musik abstellt. Interessant ist hier der Einsatz der Samba um weiße Repräsentationen Schwarzer Frauen
zu thematisieren. Die Szene ist musikalisch (vgl. Karnevalsmusik) und szenisch
(durch den Bruch zur vorigen Szene) als unterhaltsam und „lustig“ aufgebaut.
Doch die Wiederholungen entfalten sich allmählich als ambivalent, indem sie
bereits beim zweiten Mal gleichzeitig Heiterkeit und Unbehagen hervorrufen. Der
Eintritt von Pi beim dritten Mal dämpft für kurze Zeit das sich langsam
entfaltende Unbehagen ab, bevor dann beim vierten Mal eine dreifache
exotisierte Erotisierung mit voller Wucht serviert wird. Dieses vierte Mal
bildet den Klimax der Szene. Bemerkenswert an dieser Szene ist ein weiteres
Beispiel gelungener Unterwanderung von Kolonialfantasien: die PerformerInnen
entscheiden wie sie Exotisierung
darstellen und auch wann sie damit
aufhören, indem sie sich anderen Aktivitäten widmen ohne auf die Musik zu
achten.
3. Als der langsame Satz einer Sonate für Geige und
Klavier erklingt, ensteht eine neue Stimmung. Die Lichter werden gedämpft, der
Raum färbt sich zu einen dunkleren Gelb. Eine warme, intime und stille Atmosphäre in Kontrast zu den vorigen „what’s
your name“ und „Tu n’es pas vraiment Noire“ breitet sich aus. Einzig die
lautlosen federnden Sambaschritte von Ana Pi, die durch den ganzen Raum tanzt,
scheinen in vollkommenem Gegensatz zur akustischen (durch die langen
Klavierakkorde und angehaltenen Töne der Geige) und szenischen Stille (durch
die Bewegungen in Zeitlupe von Gau und Guérédrat) zu stehen. Währenddessen
macht Gau ihren Dutt in Zeitlupe auf, bevor sie einen Kopfstand auf einem
Tamburin macht. Pi löst Gau aus ihrem Kopfstand, indem sie sie hält und langsam
dreht. Dadurch beginnen die TänzerInnen eine Serie von lautlosen Drehungen in
Zeitlupe auf dem Boden. Durch Gau`s Haarelösen wird Schwarze Intimität auf der
Bühne eingeführt. Im Laufe des folgenden Duetts wird diese neue Repräsentation
verlängert und verdoppelt, indem beide sich gegenseitig behutsam auf dem Boden
drehen bzw. gedreht werden. Mit diesen gestischen Metaphern bringt die Szene,
im Hinblick auf die obigen Problematiken, eine gelungene inszenatorische
Unterwanderung weißer Zuschreibungen
auf die Bühne.
4. Unmittelbar nach der Sambaszene entsteht ein
etwas hängender ungewollter Leerlauf währenddessen sich die TänzerInnen
umziehen. Das bisher aus zu hoch gezogenen Damenboxershorts und BH bestehende
Outfit wird durch die Kombination Jeans und ärmelloses T-Shirts ersetzt. In den
Farben der Fahne Frankreichs setzen sich Pi (blau, links), Guérédrat
(weiß/beige, frontal) und Gau (rot/rosa, rechts) in einen Halbkreis. Sie
verharren einen Augenblick bewegungslos, bevor sie damit anfangen, ihr T-Shirt
in äußerster Langsamkeit auszuziehen. Auch wenn dieser Vorgang nicht mehr als
zwei Minuten dauern mag, wirkt er sehr lang gezogen. Dann unterhalten sich die
drei Frauen miteinander. Es ist geradezu frappierend zu merken, wie sehr die
Auffassung dieser Szene von den jeweiligen gesellschaftlichen Positionierungen
und Sensibilisierungen der ZuschauerInnen abhängt. Sie kann sowohl als
unendliche Qual empfunden werden, als auch als ästhetischer Klimax, in welchem
der Vorgang des Entkleidens den voyeuristischen ZuschauerInnenblick
thematisiert. Genauso verhält es sich mit der darauffolgenden Nacktheit der
Frauen. Durch ihre Gespräche scheint diese in den Hintergrund zu treten, die
Aufmerksamkeit der ZuschauerInnen wird allmählich von einer visuellen auf eine
sprachlich-akustische Ebene gelenkt. Doch nackte Schwarze Frauen auf einer
Bühne entstammen einer Jahrhunderte zurückliegenden Kolonialpraxis[9], die
weder mit Tanz noch mit Theater zu tun hat. Wenn diese Repräsentationen auf der
Bühne stattfinden, sind sie also bereits schwer beladen und daher recht
schwierig neu, gar subversiv zu besetzen wie es hier der Anspruch ist. Offen
bleibt darüber hinaus die grundlegende Frage nach der Zielgruppe dieses
Stückes. Schwarze Frauen stehen im Mittelpunkt der Darstellungen, doch scheinen
sie als Publikum nicht mitgedacht zu sein. Denn wenn Brüche, Transformationen
und Alternativbilder zu der übersexualisierten und rassisierten weißen Fantasie zwar gelegentlich
vorkommen, so besteht die Arbeit überwiegend aus der Reproduktion dieser
Bilder. Wer soll dadurch unterhalten werden und auf wessen Kosten?
Women Part 2: You Might Think I’m Crazy But I’m Serious
Black Lux Festival im Ballhaus
Naunynstrasse | 28.-30. August
Mit
Ana Pi, Ghyslaine Gau und Annabel Guérédrat|
[1]
„Hey Süße, Du siehst gut aus!“
[2] „Mir schien, dass der
Ausgangspunkt [ein Stück über Schwarzen Feminismus machen zu wollen], zu
militant und deutlich für die Bühne war. Für mich war es besser von meiner ganz
persönlichen Realität auszugehen, die viel ambivalenter, widersprüchlicher und
unregelmäßiger ist.“
[3] Vgl. „Women“ (Rio de Janeiro, 2012) Duo mit Monica
Da Costa und Trio mit Ghyslaine Gau und Ana Pi (u.a. Fort-de-France 2012)
beschäftigt sich mit Repräsentationen von Schwarzen Frauen in weißen und Schwarzen Kontexten; „A freak show for S.“ (Montréal, 2011) Solostück in Hommage
an Sara Baartmann; „Un solo qui
ne va pas plaire à ma mère“ (Montpellier, 2009) Solostück über die
Widersprüchlichkeit der karaibischen Identitäten.
[4]
Vgl. Daude, Daniele: „Gesten-Knoten-Korrespondenz“ In: Oper als
Aufführung, Bielefeld 2013
[5] Vgl. „Women, Part Two: You might think I’m crazy,
but I’m serious“ erkundet den weiblichen Körper als einen politischen Körper,
der aus Fantasien besteht, die auf ihn projiziert werden. Eine radikale
Stellungnahme zwischen Chaos und Grenzüberschreitung“. In Black Lux – Ein
Heimatfest aus Schwarzen Perspektiven, Ballhaus Naunynstrasse, Programmheft, Berlin
28-29. August 2013
[6] Vgl. Schouten, Sabine:
Sinnliches Spüren: Wahrnehmung und Erzeugung von Atmosphären im Theater, Berlin
2007
[7] Vgl. „[Nina Simone] und andere
der ganz Großen - Josephine Baker, Rosa Parks, Angela Davis, Toni Morrison,
Audre Lorde und viele andere mehr- inspirieren im Zusammenspiel mit den eigenen
Biografien der Künstlerinnen von Cie
Artincidence eine queere Performance“. In Black Lux – Ein Heimatfest aus Schwarzen Perspektiven, Ballhaus
Naunynstrasse, Programmheft, Berlin 28-29. August 2013
[8]
Vgl. hooks, bell: „Ending female sexual oppression“ In: Feminist Theory. From Margin To Center, Cambridge
2nd Ed. 2000
[9] Vgl. Verkauf von Versklavten
Menschen auf Märkte, Europäische Völker- und Freakschauen etc.